Industrie 4.0 ist vorbei. Jetzt kommt die selbstfahrende Fabrik

Blicken wir in die Vergangenheit erkennen wir, dass jede neue Technologie im Vorfeld mit Ängsten verbunden war. Im 19. Jahrhundert befürchtete man, dass Bahnfahren über 50 km/h die Gesundheit gefährdet. Als die Maschinen in den Fabriken Einzug hielten, hatten die Menschen Angst, dass es keine Arbeit mehr für sie gibt.

Blog Industrie 4.0 - Das selbstfahrende Unternehmen

Ebenso, als die ersten PCs in den Büros auftauchten und um die Jahrtausendwende das Internet und New Economy die Wirtschaft veränderten. Doch keine dieser Ängste hat sich bewahrheitet. Und jede neue Technologie, die Nutzen generierte, hat sich letztlich durchgesetzt, für die Menschen hat sich die Arbeitswelt meist verbessert. Wie auch die automatisierte Fabrik ihren Einzug halten wird – und die Menschen erstmals von monotonen Tätigkeiten befreit werden.

Die industrielle Revolutionen war stets von der Steigerung der Wertschöpfung getrieben. Die Erfindung der Dampfmaschine erbrachte gewaltige Fortschritte bei der Logistik: Plötzlich waren es technische Fahrzeuge, die den Transport erledigten. Die rasch ermüdenden und nur begrenzt starken Menschen oder langsamen Pferde- und Ochsenkarren waren mehr nötig. Der Transport von Rohstoffen, schweren Stahlteilen oder fertigen Produkten ging plötzlich rascher, sicherer und auch bald günstiger vonstatten.

Die zweite industriellen Revolution erbrachten den endgültigen Siegeszug der Maschinen. Diese wurden nun auch in der Fertigung eingesetzt. Durch die Serienfertigung, wie sie Henry Ford erstmals im großen Stil einführte wurden immer mehr Fabriken völlig neu strukturiert. Ford schaffte mit dieser Innovation innerhalb von zwei Jahren, von 1914 bis 1916 eine Verdoppelung des Umsatzes.

In Folge steigerte der Taylorismus aufgrund von präziser Erhebungs- Berechnungsmodelle erneut die Wertschöpfung der Unternehmen. Das Rollenbild der Menschen in den Fabriken wurde neu definiert, indem diese nunmehr stationär arbeiteten. Durch Routine wurden die Handgriffe am Fließband immer schneller – jedoch stellte sich gleichzeitig auch Monotonie ein.
Die dritte industrielle Revolution wurde von der Digitalisierung ausgelöst. Sie sorgte dafür, dass immer mehr kognitive, geistige Arbeit von Maschinen übernommen werden konnte. Damit entstanden für die Menschen vielfach neue Tätigkeiten. Diese waren zum Teil jedoch wiederum von Monotonie gekennzeichnet, wenn z. B. mittels Excel-Charts immer wieder ähnliche Auswertungen durchgeführt werden mussten – was in vielen Betrieben bis heute Usus ist.

Am 1. April 2011 wurde von der „Promotorengruppe Kommunikation der Forschungsunion Wirtschaft – Wissenschaft“ erstmals der Begriff „Industrie 4.0“ vorgestellt. Heute ist diese vierte industrielle Revolution immer besser in der Lage, die Wertschöpfung zu steigern. Sie umfasst koordinative wie auch kommunikative Prozesse, intern wie auch weit über die Unternehmensgrenzen hinaus. Tätigkeiten, die früher am Workfloor, von Sachbearbeitern oder dem mittleren Management langsam und fehleranfällig erledigt wurden, können mit den Tools von Industrie 4.0 nunmehr automatisch, transparent, sicher und in Echtzeit abgewickelt werden. Erneut kommt es zu einer erheblichen Beschleunigung aller Prozesse und zu einer weiteren Steigerung der Wertschöpfung.

Vollkommen automatisierte Fertigung: die Selbstfahrende Fabrik

Die Selbstfahrende Fabrik geht über Industrie 4.0 hinaus und schafft die Basis, Produkte nunmehr vollkommen automatisiert und weitgehend ohne menschliches Zutun zu fertigen. Ehemals isolierte Fertigungseinheiten und linear organisierte Prozesse werden in der Selbstfahrenden Fabrik zu ganzheitlich vernetzten, multidimensionalen Funktionen transformiert, die sich miteinander mittels selbstlernenden Algorithmen in Echtzeit hinsichtlich ihres Systemstatus optimieren. Das sorgt für eine ungeahnte Kostendegression: Ist die Investition einmal getätigt, können die Personalkosten drastisch reduziert werden, auch der laufende Energie- und Materialaufwand wird durch das ganzheitliche Prinzip weiter optimiert, Engpässe, Stehzeiten Wartungsintervalle werden auf ein Minimum reduziert.

So ist auch davon auszugehen, dass die Möglichkeiten der kognitiven Software Treiber für den Erfolg jener Industrieunternehmer sein werden, die sich auf diese intelligenten Technologien einlassen und bereit sind, die entsprechenden Veränderungen in ihren Unternehmen zuzulassen – auch wenn dabei eine grundlegende Neustrukturierung erforderlich wird.

Jene Unternehmen, die im Zuge der industriellen Revolutionen versucht haben, an alten Methoden festzuhalten, sind stets wieder verschwunden, wie viele Beispiele zeigen: der Niedergang der Wagner und Hufschmiede, das Mühlensterben, das Verschwinden der Schreibmaschine, des Festnetztelefons und zuletzt sogar der Niedergang des ehemaligen Mobiltelefon-Marktführers Nokia.

Programmierbar, veränderbar, wunderbar

Ein Pionier auf dem Weg zum Selbstfahrenden Unternehmen ist Tesla-, SpaceX- und Hyperloop-Gründer Elon Musk – nicht umsonst seit 2021 der reichste Mensch der Welt, dies trotz erheblicher finanzieller Engpässe in der Gründerphase von Tesla seit 2004. Während die „traditionellen“ Autohersteller auf Grundlage von veralteten Technologien ihre Fertigung Schritt für Schritt adaptieren, ging Musk einen völlig anderen Weg. So wie auch der Tesla Sportwagen „ein PC auf Rädern“ ist, wollte er keine Fabrik „bauen“, sondern „programmieren“. Der simple Grundgedanke: Was einmal programmiert ist, kann in Folge ganz leicht verändert werden. So wie die komplette Fahrwerksabstimmung des Tesla upgedatet werden kann, passt sich die Giga Factory den aktuellen Bedarfen geschmeidig an.

Die von Tesla dabei eingesetzten Robotiksysteme sind dabei extrem flexibel. Sie können jegliche qualitativen wie auch quantitativen Veränderungen jederzeit mittragen, können sich auf steigende Absätze einstellen. Damit „skaliert“ die komplette Fabrik wie ein rein virtuelles Internet-Startup, z. B. TikTok oder Snapchat. Die übrigens primär mit Solarstrom betriebenen Giga Factorys steigern damit kontinuierlich ihre Wertschöpfung. Der anfangs von den traditionellen Herstellern belächelte Musk bringt nunmehr die großen Autobauer erheblich unter Druck.

Copy and paste

Auf Grundlage des Prinzips der programmierbaren Fabrik kann Elon Musk seine zunächst ab 2014 in Nevada errichtete Giga Factory kopieren und an jeglichem anderen geeigneten Standorten errichten.

Während in den meisten Fabriken bis heute vor allem eine Vielzahl einzelner programmierbarer Roboter im Einsatz sind, wird die Zukunft der komplett programmierbaren Fabrik gehören. Sämtliche physische Arbeit wird von miteinander voll vernetzten, hochflexiblen Robotersystemen ausgeführt und laufend optimiert, indem die Selbstfahrende Fabrik der Zukunft sich aufgrund der aktuellen Erfordernisse von Algorithmen laufend neu konfiguriert und programmiert. Die Roboter kommen laufend genau dort zum Einsatz, wo sie gerade gebraucht werden.

Digital Twin schließen die Lücke zwischen real und digital

Wie die einzelnen Arbeitsschritte aussehen werden, wird in der Selbstfahrenden Fabrik ebenso automatisiert aufbereitet, zum Beispiel mittels so genannter Digital Twins. Der Digital Twin ist eine virtuelle Replikation physischer Objekte. Der Begriff wurde 2002 von Michael Grieves geprägt, der das Prinzip entwickelte und damit ein neues Niveau an Qualität und Schnelligkeit bei der automatisierten Fertigung erreichte. Mit digitalen Zwillingen wird die Lücke zwischen der realen und der virtuellen Welt geschlossen, indem Daten von installierten Sensoren am realen Objekt in Echtzeit erfasst und mit dem virtuellen Twin verbunden werden. Die Daten des Realobjekts werden in einer virtuellen Kopie analysiert und simuliert. Damit kann z. B. der komplette Wartungsvorgang an einer Maschine erfasst und sofort digitalisiert werden. So sorgen digital Twins für die Automatisierung und laufende Optimierung von Herstellungs-, Wartungs- und Instandhaltungsprozessen. Während früher Beobachtung und Stoppuhr Grundlage für Verbesserungen war, liegt nunmehr alles in Datenform jederzeit für Analysen bereit.

Immer mehr Funktionen der Selbstfahrenden Fabrik werden auf der Verwendung von Digital Twins basieren, vor allem auch, weil die Rechnerleistung extrem zunehmen wird. Die Kommunikation und Interaktion zwischen Roboter und Mensch wird ebenso auf Grundlage von Algorithmen und Deep Learning immer besser und im Jahr 2035 völlig normal sein, so wie das bereits Siri und Alexa in immer mehr Haushalten zeigen.

Das Lager, das sich selbst managt

Automatische Lagersysteme funktionieren im Prinzip ebenfalls wie Roboter. Funktionen wie das Ein-, Aus-, und Umlagern der Güter werden bedarfsgerecht selbständig ausgeführt. Automatisierte Lagersysteme weisen gegenüber den traditionellen Lagern vielfältige Vorteile auf, die erheblich zur langfristigen Kostensenkung beitragen: Sie benötigen weniger Platz, sparen Energie vor allem durch Verkürzung der Wege, da die Algorithmen laufend die günstigste Gesamtlösung berechnen, haben kürzere Zugriffszeiten und eine integrierte Materialflusssteuerung.

Darüber hinaus werden durch die Automatisierung der Lager in der Übergangszeit zum Selbstfahrenden Unternehmen 2035 nach den Fließbandarbeitern und Excel-Sachbearbeitern auch immer mehr Lagermitarbeitende von monotonen Arbeitsschritten entlastet, die von Menschen verursachten Fehler werden auf ein Minimum reduziert. Zudem arbeiten die Systeme ohne Ermüdung und Zulagen rund um die Uhr und sieben Tage die Woche.

Indem die internen Daten mit externen Daten und Prognosen verknüpft werden, weiß die Selbstfahrende Fabrik mit dem vollautomatisierten Lager stets exakt, was aktuell verkauft wurde und mit welchen Bedarfen in der folgenden Periode zu rechnen ist. Wenn die Bedarfe außerhalb der Systemgrenzen liegen, können durch das Management auch Hinweis- oder Warnmeldungen justiert werden, um etwaige Änderungen an dem sonst völlig Selbstfahrenden Lager durchzuführen.

Volle Kraft für das Gesamtoptimum

Das Beispiel der vollautomatisierten Fabrik zeigt anhand dieser Erkenntnisse sehr gut für alle anderen Formen Selbstfahrenden Unternehmen, wie starre Grenzen aufgebrochen werden können – zu Gunsten eines hybriden, transparenten und in Echtzeit anpassbaren Gesamtorganismus, der vollständig mit allen relevanten Akteuren vernetzt ist. Diese Interaktion wird umso besser, je mehr es sich dabei ebenfalls um Selbstfahrende Unternehmen beziehungsweise auch Organisationen handelt.

Zudem zeigen die Erfahrungen in den analogen Betrieben, dass entgegen des Gesamtoptimums Teile von Unternehmen stets dazu tendieren, nur das Optimum ihrer eigenen Abteilung anzustreben. Damit verschlechtern viele Fehler, Reibung und Leerlauf insgesamt das Ergebnis. Grund sind zutiefst menschliche Emotionen: Neid, blinder Ehrgeiz, Profilierungssucht, Missgunst, Macht- und Karrierestreben oder Engstirnigkeit. Dieser Drang ist oft intern bestens bekannt. Er ist Grund für Konflikte, unzureichende Kommunikation und das Zurückhalten wertvoller Informationen. Bestenfalls kommt es einmal im Jahr zu einem Workshop, wo dieses Fehlverhalten zum Teil aufgedeckt wird, bis dann nach zwei Wochen wieder alles beim Alten ist. Das Selbstfahrende Unternehmen bietet die Chance völliger Transparenz – damit sind diese Spielchen passé. Die Menschen werden entlastet von monotonen, ermüdenden und stupiden Tätigkeiten und können sich höheren, empathischen oder kreativen Aufgaben widmen.

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