Wertschöpfung von selbstfahrenden Unternehmen Teil 2

Das selbstfahrende Unternehmen verfügt über ungeahnte Potenziale zur Steigerung der Wertschöpfung in Unternehmen, beginnend bei der Identifikation marktgängiger Produktideen bis hin zu intelligenten und hochflexiblen Produktions- und Lagersystemen.

Ein selbstfahrendes Unternehmen kann, unabhängig von der Produktkategorie alle Leistungen rund um die Entstehung oder Herstellung des Produkts intelligent planen, speichern und überwachen. Daraus ergeben sich fünf wesentliche Treiber der Wertschöpfung:
  1. Forschung und Entwicklung
  2. Produktionsprognose und -planung
  3. Produktionsautomatisierung
  4. Robotik und digitale Zwillinge
  5. Automatisierte Lagerhaltung
Während Treiber 1 und 2 bereits in einem Artikel vorgestellt wurden, widmet sich dieser Beitrag den Treibern 3 bis 5.

Treiber 3: Automatisierung der Produktion

Nicht alle Kernprozesse werden sich bei der Digitalisierung mit Hilfe von künstlicher Intelligenz grundlegend verändern. Z. B. folgt der Stahlproduktionsprozess auch in Zukunft einer erprobten Formel – und die Kuh wird weiterhin frisches Gras fressen, um gesund zu heranwachsen. Die Technik unterstützt und optimiert diese Produktionsformen insbesondere, wenn die Produktionseinheiten eine gewisse Größe erreicht haben. Diese Größenordnungen können auch durch den Zusammenschluss kleinerer Produktionseinheiten geschaffen werden, wie dies derzeit für Landwirte beispielsweise in „Maschinenringen“ oder ähnlichen Kollektiven möglich ist. Vor allem wenn man bedenkt, dass der Wert einer selbstfahrenden Landmaschine mehrere Millionen Euro beträgt, was sich kaum ein Landwirt mehr leisten kann. Doch mit dem Zusammenschluss erreichen diese Kollektive eine erhebliche Steigerung der Wertschöpfung, was Ihnen gemeinsam ermöglicht, am Markt wettbewerbsfähig zu bleiben.

Spannend wird die Entwicklung des Dienstleistungssektors: Hier ist davon auszugehen, dass einige Services komplett vom Markt verschwinden, dafür aber neue hinzukommen werden. Taxifahrer, die wegen der Konkurrenz von Uber um ihre Existenz bangen müssen, müssen sich in den nächsten Jahren neue Jobs suchen. Die Zukunft von Taxis und Lkw liegt in selbstfahrenden Systemen, die bereits einen hohen Entwicklungsstand erreicht haben und dank der dramatischen Steigerung der Rechenleistung und damit verbundenen Verbesserungen der künstlichen Intelligenz bald überholt sein werden. Durch Mustererkennung, Echtzeit-Vernetzung mit den anderen Fahrzeugen, Aufbau einer entsprechenden Infrastruktur werden Wege optimiert, Staus vermieden und Unfälle fast gänzlich verhindert.

Darüber hinaus werden selbstfahrende Fahrzeuge über weitere intelligente Funktionen verfügen: Beim Anschluss an das Stromnetz wählen sie selbst den günstigsten Stromanbieter oder speisen Solarenergie vom Dach ihres Besitzers ein. Nachdem die Besitzer morgens ins Unternehmen gebracht werden, „arbeiten“ die Fahrzeuge tagsüber weiter und befördern andere Personen. Sie stehen also nicht sinnlos herum, sondern verdienen Geld für ihre Besitzer. Die Menschen werden in der Personenbeförderung der Zukunft Anbieter hochwertiger empathischer Dienstleistungen sein. Ein Szenario könnte sein, dass Menschen als Reiseleiter im Auto sitzen und den Gästen spannende Geschichten über die Stadt und ihre Sehenswürdigkeiten erzählen – oder die Fahrzeit für ein psychotherapeutisches Gespräch oder eine Nackenmassage genutzt wird.

Viele persönliche Dienstleistungen werden daher auch weiterhin von Menschen erbracht – allerdings auf einem höheren Niveau denn je. Auch andere Dienstleistungen werden sich radikal verändern. Es gibt bereits Roboter, die Menschen die Haare schneiden. Wer es sich leisten kann, lässt sich aber weiterhin beim Friseur stylen, trinkt ein Glas Aperol und plaudert über das Restaurant, das um die Ecke eröffnet hat. Die Kosten hierfür betragen ein Vielfaches der Kosten eines automatisierten Dienstes – aber wir werden es uns leisten können, da wir in anderen Bereichen die Wertschöpfung enorm gesteigert haben.

Ein spannender Trend ist der Wandel von Dienstleistungen hin zu virtuellen Produkten: Früher mussten wir einen Experten fragen, wenn wir mehr zu einem bestimmten Thema wissen wollten – heute greifen wir zum Handy, schlagen bei Wikipedia nach oder schauen uns ein YouTube-Video an, wenn wir den Kinderwagen nicht so zusammenfalten können, dass er in den Kofferraum passt. Auf dieser Basis werden immer mehr unregelmäßig anfallende Tätigkeiten assistiert werden, indem z. B. Industrie-Instandhalter nicht mehr aufwändig geschult werden müssen sondern vor Ort über die Datenbrille genau sehen, was zu tun ist – dazu mehr bei Treiber 4!

Hingegen werden auch physische Produkte teilweise zu virtuellen Produkten. Mit einem relativ billigen Elektromotor, ohne Hunderte von komplexen, beweglichen, verschleißenden Kleinteilen und Antriebsstrangkomponenten wird das physische Serienauto immer billiger und es wird immer mehr intelligente Software installiert. Das zeigt das aktuelle Beispiel des IQ Drive von Volkswagen: Das sind aktive Fahrerassistenzsysteme, die die Sicherheit und den Komfort beim Fahren erhöhen. Bereits heute lassen sich alle Funktionen per Spracheingabe steuern, das Drehen an den Knöpfen während der Fahrt gehört bald der Vergangenheit an, bis irgendwann der Fahrer komplett verschwindet. Die Steigerung der Wertschöpfung in der Autoindustrie entsteht also durch immer mehr Software – auch weil die Produktion des physischen Autos der Zukunft dank Vollautomatisierung immer günstiger wird.

Treiber 4: Robotik und digitale Zwillinge

Auch wenn heute eine Vielzahl individuell programmierbarer Roboter in Fabriken zum Einsatz kommen, wird die Zukunft – wie das Beispiel der Tesla-Gigafactory zeigt – eine voll programmierbare Fabrik mit nie dagewesener Wertschöpfung sein. Körperliche Arbeit wird von standardisierten, hochflexiblen Robotern erledigt. Heute gibt es noch vor allem programmierbare Roboterarme, die allerdings noch statisch sind. So ist eine Fabrik derzeit noch hauptsächlich von Menschen besetzt, wird aber zunehmend unterstützt durch automatisierte Logistiksysteme – und selbstfahrende Roboter, die unermüdlich Produktionslinien mit Teilen versorgen, wie die in Österreich entwickelten und weltweit zunehmend im Einsatz stehenden „Agilox“ zeigen (Abbildung).

Abbildung 1: Selbstfahrender Industrieroboter aus Österreich Quelle: Formquadrat Industriedesign https://www.formquadrat.com/work/all/

Die Fabrik der Zukunft wird kontinuierlich nach den Anforderungen aktueller Algorithmen konfiguriert und programmiert. So kommen Roboter immer genau dort zum Einsatz, wo sie gebraucht werden. Auch inhaltsspezifische Anweisungen, wie die einzelnen Arbeitsschritte aussehen, werden automatisch erstellt, beispielsweise mit Hilfe digitaler Zwillinge, das sind virtuelle Kopien physischer Objekte. Der Begriff wurde 2002 von Michael Grieves geprägt. Er entwickelte das Prinzip der virtuellen Replikation, um eine neue Qualität in der automatisierten Produktion zu erreichen. Auf diese Weise können digitale Zwillinge die Lücke zwischen realer und virtueller Welt schließen, indem sie in Echtzeit Daten von am realen Objekt installierten Sensoren sammeln und mit dem virtuellen Zwilling kombinieren. In der virtuellen Kopie dieser physischen Objekte werden die Daten des „Originals“ ausgewertet und simuliert. So kann beispielsweise der Wartungsprozess der Maschine sofort erfasst und digitalisiert werden. Die gesammelten Daten können entweder lokal, dezentral oder in der Cloud gespeichert werden. Diese digitalen Zwillinge werden mit der Weiterentwicklung von Fertigungs-, Service- und Wartungsprozessen von unschätzbarem Wert werden. Da die Rechenleistung enorm zunimmt, basieren immer mehr Funktionen dieser „programmierbaren Fabriken“ auf der Nutzung virtueller Kopien des Produkts,.

Dies ermöglicht auch die Kommunikation und Interaktion zwischen Robotern und Menschen auf Basis von Algorithmen und Deep Learning. 2035 wird das völlig normal sein – so wie das Smartphone nach 10 Jahren zum Alltagsgegenstand geworden ist. So verfügen viele chinesische Haushalte längst über Assistenzsysteme, die Funktionen der Haustechnik mit einfachen Sprachbefehlen steuern können. Die Stimme wird für die Autorisierung erkannt, Subsysteme wie Heizung, Kühlung, Rollläden, Lüftung oder Staubsauger werden zu einem Smart Home vernetzt, dem die Eigentümer ihre aktuellen Wünsche und Bedürfnisse mitteilen können.

Treiber 5: Automatisierte Lagerhaltung

Auch automatische Lagersysteme können erheblich zur Steigerung der Wertschöpfung beitragen. Sie funktionieren im Prinzip wie Roboter, die bestimmte Arbeitsaufgaben übernehmen. In einem automatisierten Lagersystem werden Vorgänge wie das Einlagern, Kommissionieren und Umlagern von Waren selbstständig durchgeführt, die Kommissionierung erfolgt nach dem „Ware zum Mann“ Prinzip. Mittels automatischer Fördertechnik werden die Produkte direkt zum Kommissionierer geführt. Dieser wird in Zukunft zu einem Roboter. Automatisierte Lagersysteme haben gegenüber herkömmlichen Lagern viele Vorteile, die mit einer integrierten Materialflusssteuerung maßgeblich zur langfristigen Kosteneinsparung beitragen: Sie benötigen weniger Platz, sparen Energie und verkürzen Wege und haben viel kürzere Zugriffszeiten, da Algorithmen laufend die günstigste Gesamtlösung berechnen.

Bereits in der Übergangszeit zum selbstfahrenden Unternehmen im Jahr 2035 befreit die Lagerautomatisierung Lagermitarbeiter von körperlich belastenden und monotonen Arbeitsphasen – und durch Menschen verursachte Fehler werden minimiert.

Automatische Lagerverwaltungssysteme basieren auf soliden und langlebigen Strukturen, dynamischer und energieeffizienter Technologie und einer cloudbasierten Lagerverwaltungssoftware (Warehouse Management Software), die alle Prozesse steuert und verwaltet. Das Warenwirtschaftssystem ist als „Herzschrittmacher“ zentral für die Warenwirtschaft und das Materialflussmanagement des Systems.

In einem selbstfahrenden Unternehmen ist das Lager vollständig mit sämtlichen anderen betrieblichen Funktionen vernetzt und es findet eine gegenseitige Echtzeit-Koordination statt. So werden beispielsweise Bestellungen automatisch ausgelöst, Rechnungen virtuell erstellt und auf Basis des aktuellen Bestands alle aktuellen Informationen verwaltet, die wiederum für Entscheidungen genutzt werden können, etwa um neue Lieferverträge mit neuen Partnern auszuhandeln. Indem interne Daten mit externen Daten und Prognosen kombiniert werden, weiß das selbstfahrende Unternehmen genau, was in der letzten Periode verkauft wurde – von einem Jahr bis zu einem Quartal bis zur letzten Sekunde – und was in der nächsten Periode zu erwarten ist,. Darauf aufbauend können nach den Wünschen des Managements Informationen oder Warnmeldungen im sonst komplett autark arbeitenden Lager gesetzt werden, wenn sie außerhalb der Systemgrenzen liegen.

Das Beispiel der automatisierten Logistik zeigt sehr gut, wie starre Grenzen innerhalb des Unternehmens und in Bezug auf das Unternehmensumfeld in einem selbstfahrenden Unternehmen zugunsten einer hybriden, in Echtzeit adaptierbaren und mit allen relevanten Akteuren vollständig vernetzten Gesamtorganismus aufbrechen.

Quellen

Formquadrat Industriedesign (2022): Agilox – Selbstfahrender Industrieroboter aus Österreich https://www.formquadrat.com/work/all/

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