Das selbstfahrende Unternehmen ist eine attraktive Vision mit vielen Vorteilen für alle Beteiligten. Es befreit die Mitarbeiter von lähmenden, ungesunden und wiederkehrenden Routinen und stellt sicher, dass wir unser wahres menschliches Potenzial ausschöpfen, je nach Lebensabschnitt und den damit verbundenen Fähigkeiten und Ansprüchen. Aus der Sicht der Kunden, die wir auch alle sind, verstehen diese Unternehmen unsere Bedürfnisse besser als je zuvor. Für uns es ist einfacher denn je, genau das zu bekommen, was wir wirklich wollen. Unsere Produkte werden dank der enormen Ressourcen, die das Unternehmen freisetzt, besser und nachhaltiger. Jene Unternehmen, die dieser Entwicklung widerstehen wollen, werden bis 2035 längst ihre Pforten geschlossen haben. Sie überlassen es den erstklassigen Anbietern, den Markt mit ihren hochwertigen Produkten und Services zu bereichern.
Selbst kleine Betriebe werden sich in vielen Bereichen dieser Technologien bedienen – und sich umso besser dem persönlichen Kundenkontakt und der Verbesserung ihrer Produkte widmen können. Damit werden auch die Preise für diese exklusiven Werke steigen. Daneben wird es auch weiterhin primär analoge Unternehmen geben, denn das selbstfahrende Unternehmen ist nicht für alle Geschäftsmodelle eine sinnvolle Vision. Die kleine feine Manufaktur im touristischen Alpendorf wird die maßgeschneiderte Hirschlederhose weiterhin manuell fertigen und die Rechnungen handschriftlich ausstellen. Die Eigentümer haben sich bewusst gegen eine globale Skalierbarkeit entschieden und ein begrenztes Wachstumspotenzial in Kauf genommen. Vor allem, wenn für die einzigartigen und wertvollen Produkte hohe Preise akzeptiert werden, können sie auch in Zukunft gut davon leben. Die meisten kleinen und mittleren Unternehmen werden sich jedoch ebenso wie die Konzerne verändern müssen.
Die bisherige Digitalisierungsstrategie greift zu kurz
In den vergangenen Jahrzehnten haben mittelständische Unternehmen in Deutschland, Österreich wie auch in der Schweiz stark in Produktions- und Wertschöpfungsprozesse der Industrie 4.0 investiert. Oft werden jedoch viele Optimierungspotenziale übersehen, die durch Software über die Kernprozesse hinaus in anderen Geschäftsbereichen ermöglicht werden könnten. Diese erheblichen Verbesserungspotenziale werden in den Unternehmen zu wenig oder nur schwach ausgeschöpft.
Vor allem bei kleineren und mittleren wird Unternehmen wird die Bedeutung der Nutzung zunehmender technologischer Möglichkeiten noch nicht erkannt. Denn die skizzierten Veränderungen werden möglicherweise erst um das Jahr 2030 im großen Stil sichtbar – danach wird die Kurve jedoch stark ansteigen. Unternehmen, die bis dahin nicht die richtige Basis geschaffen haben, werden ihren Rückstand nicht mehr aufholen können. Wenn Unternehmen zu diesem Zeitpunkt lediglich das alte ERP-System ablösen möchten, müssen sie mit 4–5 Jahren rechnen. Je größer das Unternehmen ist, desto früher muss es sich auf diese großen Veränderungen vorbereiten. Für kleinere Unternehmen wird es einfacher, da sie kleinere Cloud-basierte Softwareprodukte und KI-Apps nutzen können, die über einzelne intelligente Lösungen verfügen. Wichtig ist nur, dass diese eine ordnungsgemäße Integration in das Gesamtsystem ermöglichen.
Gesamtorganismus statt Einzelabteilungen
Statt einem Nebeneinander von Abteilungen entsteht in selbstfahrenden Unternehmen ein ganzheitlicher Organismus mit einem ungeahnten Maß an innerer und äußerer Wahrnehmung. Diese ganzheitlichen Unternehmen werden also im Grunde immer mehr wie Menschen: Denn das Denken und Fühlen erfolgt bei uns auch nicht fragmentiert, sondern ganzheitlich. Wenn wir einen Berg erklimmen wollen, schätzen wir sofort ein, ob wir überhaupt dazu in der Lage sind, wie viel geeignete Ausrüstung wir haben, wie viel Nahrung wir brauchen – ohne Informationen über einzelne Muskeln, die Sauerstoffaufnahmekapazität des Bluts, Herzleistung, Mageninhalt, Risikomanagement in der Großhirnrinde sowie ohne wechselseitige Anfragen beim Lebensmittel- oder Bergsporthändler. Wenn es nicht gerade ein 8.000er ist, suchen wir uns intuitiv alles zusammen, besorgen fehlendes und los geht´s.
Große Unternehmen werden sich an den unausweichlichen Wandel anpassen müssen oder ganz vom Markt verschwinden, wie Nokia oder Kodak. Sie werden den neuen Rahmenbedingungen spätestens 2035 nicht mehr gewachsen sein, sind nicht mehr kompatibel mit den mittlerweile digitalen Schnittstellen ihrer Partnerunternehmen und Institutionen, können mit der extremen Anpassungsfähigkeit ihrer Wettbewerber nicht mehr mithalten und werden nicht mehr in der Lage sein, die individuellen Bedürfnisse ihrer Kunden zu erfüllen, woran diese bis dahin gewöhnt sein werden.
Das Wichtigste, was Unternehmen heute erkennen müssen ist also, dass sie sich auf breiter Front bewegen müssen. Es reicht nicht aus, als Leuchtturmprojekt eine kleine digitale Einheit aufzubauen und zu versuchen, andere hier untätige Unternehmen zu schlagen. Stattdessen muss eine komplette Umstrukturierung des Unternehmens – nicht des Geschäftsmodells, sondern des gesamten Unternehmens erfolgen. Dies ist für kleinere Unternehmen erheblich einfacher als für Großkonzerne.
Das Ziel muss es sein, etwa 80 % aller Unternehmensdaten in eine maschinenlesbare und weiterverarbeitbare Form zu digitalisieren. Das ist auch für mittelständische Betriebe eine große Herausforderung. Diese Herausforderung wird noch deutlicher, wenn man bedenkt, dass sich viele Unternehmen seit Mitte der 1990er Jahre (inzwischen über 25 Jahre) mit der Digitalisierung beschäftigen. Und diese Bedeutung wird umso klarer, wenn man erkennt, wie viele Unternehmen vom Markt verschwunden sind, weil sie diese Notwendigkeit nicht erkannt haben.
Mit vielen kleinen Veränderungen beginnen
Generell gilt es auch für kleinere Unternehmen, nicht abzuwarten bis ein bestimmter Status der Technologie als Ganzes erreicht ist. Am besten ist es, an verschiedenen Stellen bzw. Bereichen des Unternehmens anzusetzen. Wenn z. B. im Vertriebsbereich bereits ein digitales CRM System aufgebaut wurde, kann begonnen werden, dieses zu automatisieren, wie beim automatisierten Kontaktieren: Replys oder Newsletter können den Beginn dieser Entwicklung markieren. Dies muss jetzt nicht zwingend heißen, dass zum Beispiel der Text des Newsletters automatisiert generiert wird. Hier wird es weiterhin sinnvoll sein, diesen von einem Experten oder einer Expertin verfassen zu lassen.
Speziell die wichtigen Vertriebskontakte werden weiterhin von Mensch zu Mensch stattfinden. Alles rundherum, sämtliche Routinen, die viel Zeit in Anspruch nehmen sollen jedoch Schritt für Schritt automatisiert werden. So ist es bereits seit 2015 technisch möglich, einen Termin automatisiert zu vereinbaren, indem die Zeitmanagement Software die freien Termine aller Beteiligten erfasst und nach Übereinstimmung prüft, was bei mehreren Personen oft mit endlosen und wiederholten Telefonaten verbunden ist. Für die Software ist das ein Klacks – vorausgesetzt alle Beteiligten verfügen über die entsprechende technische Ausstattung. Im Moment sind es jedoch nur ein paar „Early Adopters“, die diese Software nutzen – aber es ist nur mehr eine Frage der Zeit, bis das ganz normal ist. Wie schnell das gehen kann, hat die Pandemiezeit mit dem Einsatz von Konferenztools gezeigt. Dies geschieht also meistens dann, wenn ein fühlbarer Nutzen gegeben ist und eine kritische Masse erreicht wurde. Dann entsteht bei solchen Anwendungen ein viraler Effekt: So, wie zuvor auch bei Skype, WhatsApp oder Zoom besitzen einige User diese Technologie und kontaktieren ihre Freunde und Geschäftspartner, doch auch diese App zu nutzen, um miteinander besser zu kommunizieren oder zu kooperieren. Je besser und vor allem einfacher, intuitiver die Anwendung ist, desto rascher werden diese Leute überzeugt und kontaktieren ihrerseits wiederum Freunde – und so weiter. Dann kommt es zum Schneeballeffekt, der rasch den ganzen Globus überzieht.
Von der Automatisierung zu intelligenten Entscheidungen
Das Beispiel der automatisierten Terminvereinbarung zeigt eine Anwendung im Bereich der Automatisierung. Diese ist jedoch noch nicht wirklich schlau: Intelligent wäre die Terminvereinbarungs-App, wenn sie aufgrund von internen und externen Unternehmensdaten bereits vorher erkennt, dass bestimmte Leute einen Termin vereinbaren sollten. Wenn z. B. aufgrund eines eingegangenen Großauftrages vom System festgestellt wird, dass im Lager zu wenig Stahlkomponenten vorrätig sind und der bestehende Lieferant keine ausreichenden Kapazitäten hat, wird diese Info zusammen mit einem Terminvorschlag mit den weiteren Lieferanten an den Einkäufer übermittelt, der diese mit einem Klick freigibt. Das selbstlernende Agentensystem hat zuvor sekundenschnell weltweit recherchiert, wer für diese Komponenten die Bestbieter sind. Solche Tools sind zunehmend auch für kleinere Unternehmen leistbar. Wer hätte gedacht, dass ein Online-Übersetzer in alle Sprachen heute gratis verfügbar ist und mittlerweile hervorragende Texte produziert?
Ähnliche Tools sind für alle Routinen denkbar. Bei Entscheidungen, die von den zunehmend intelligenten Systemen nicht selbst getroffen werden können, wird auch in Zukunft der Mensch eingeschaltet. Viel besser als heute wird er jedoch über die exakte Situation, die Notwendigkeit des Handelns und sämtliche Zahlen und Fakten versorgt. Zudem wird er mit konkreten Vorschlägen und Alternativen versorgt. Z.B. erhält auch beim mittelgroßen Anlagenbauer der softwaregestützte Instandhaltungstechniker Information samt Handlungsanweisung und -ort auf seine Datenbrille, wenn die Wartung nicht vom System selbstständig durchgeführt werden kann.
Die Chancen des Wandels erkennen und nutzen
Manchen Leuten wird die Vorstellung eines selbstfahrenden Unternehmens Angst machen. Blicken wir in die Vergangenheit erkennen wir jedochs, dass jeglicher Technologiesprung im Vorfeld mit Ängsten verbunden war. Im 19. Jahrhundert glaubte man, dass Bahnfahren über 50 km/h die Gesundheit gefährdet. Als die Maschinen in den Fabriken Einzug hielten, hatten die Menschen Angst, dass es keine Arbeit mehr für sie gibt. Ebenso, als die ersten PCs in den Büros auftauchten und später das Internet und die New Economy die Wirtschaft veränderten.
Jedoch hat sich keine dieser Ängste bewahrheitet und der Bedarf von Beschäftigten und der Status an Arbeitslosen sind im Wesentlichen gleich geblieben. Denn der Bedarf an menschlicher Arbeitskraft ist viel stärker von der Konjunktur im Allgemeinen abhängig als von den bisher genannten technologischen Innovationen.
Hingegen sind jedoch viele Betriebe von den Märkten verschwunden, die eisern an den alten Gewohnheiten festgehalten haben. Es gilt also, die Chancen des Wandels zu erkennen und für sich, das Unternehmen, seine Menschen und alle Interessensgruppen das Beste daraus zu machen.