Damit diese selbstfahrenden Unternehmen Realität werden, müssen auch Verwaltungs- und staatsnahe Organisationen selbstfahrend werden, Gesetzgebungs-, Verwaltungs- und Justizbehörden müssen auf diese Bedürfnisse ausgerichtet werden. In das neue Buch, „Der Selbstfahrende Staat“, das voraussichtlich im Herbst 2023 im Springer Verlag erscheint, ist bereits viel Erfahrung eingeflossen. Die Autoren Florian Schnitzhofer, Patrick Pils und Philipp Seper-Ambros haben im Laufe der Jahre viele österreichische und deutsche Ministerien beraten und stehen in regelmäßigem Kontakt mit den Führungskräften. Inhaltlich liegt der Schwerpunkt der Zusammenarbeit auf der Entwicklung einer Digitalisierungsstrategie und der anschließenden Projektleitung, nicht nur auf Bundesebene, sondern auch auf Landes- und Kommunalebene, da das Ziel ist, in allen Bereichen und auf allen Ebenen bis 2040 weitgehend selbstfahrend zu werden.
Modellhafte Beispiele zeigen die Vielfalt auf
So baut das Buch auf diesen Erfahrungen und technologischen Entwicklungen auf, die bereits vorhanden sind und sich weiterhin schnell verändern. Grundsätzlich ist schon vieles möglich – es ist nur noch nicht umgesetzt. Um die Vision möglichst anschaulich darzustellen, wurde zusätzlich ein Modell einer fiktiven autonomen Staats mit seinen Services, vom zentralen Bildungsregister bis zum digitalen Bürger-Wallet entworfen und genutzt, um die vielen Vorteile des selbstfahrenden Staats zu demonstrieren. Die aus diesem Modell gewonnenen Erkenntnisse sollten nicht nur für Deutschland, sondern auch für die Gegebenheiten in Österreich und ähnlichen Ländern anwendbar sein, unabhängig vom politischen System geht es dabei stets um die Verwaltung. Darüber hinaus beleuchtet jedes Kapitel den selbstfahrenden Staat aus unterschiedlichen Perspektiven, von Ministerien über Sozialpartner, Infrastrukturunternehmen, Krankenhäuser bis hin zu NGOs, es stellt Lösungsansätze für die technische Umsetzbarkeit vor und zeigt beispielhaft, welche ungeahnten Verbesserungen damit möglich sind.
Anstoß zum Diskurs mit neuen, spannenden Fragen
Auf diese Weise wirft das Buch viele Fragen auf und offenbart bisher unbekannte Herausforderungen. Zum Beispiel, inwieweit das Recht ein Algorithmus sein kann – oder wie intelligente Software-Entscheidungen aus ethischer Sicht bewertet werden können. Dabei ist uns wichtig, diese Themen möglichst neutral und objektiv anzugehen, ohne ideologische oder politische Wertungen vorzunehmen. Ein selbstfahrender Staat sollte ein intelligentes Werkzeug sein, das den Willen der Menschen mehr denn je erfassen und entsprechend handeln kann. Die Stufen, die zum autonomen Fahrzustand führen, entsprechen den vier Stufen des selbstfahrenden Unternehmens.
- Analoge Organisation: Dies entspricht der traditionellen und klassischen Form des Verwaltungsmanagements, z. B. mittels klassischer Aktenorder.
- Digitale Organisation: Hier sind 80% der Daten bereits semantisch und syntaktisch vorhanden. Syntaktisch bedeutet beispielsweise, dieSoftware muss in der Lage sein, Adressen wie Ort, Straße und Hausnummer zu erkennen. Semantisch geht noch einen Schritt weiter, hier kann die Software z. B. bereits zwischen Privat- und Geschäftsadressen unterscheiden und die entsprechenden Dokumente korrekt ausarbeiten und zustellen.
- Automatisierte Organisation: 80% der End- to – End – Prozesse sind automatisiert – um ein Beispiel darzulegen: Steuerbescheide werden automatisch ausgearbeitet, zugestellt oder zur Einsicht freigeschaltet.
- Selbstfahrende Organisationen: Hier werden 80% der Entscheidungen durch Algorithmen getroffen, der Staat stellt z. B. den Unternehmern einen Rechenkern zur Verfügung, mit dem diese ihre Einnahmen und Ausgaben erfassen und Steuern berechnen können. Dies spart im eine Menge Verwaltungsarbeit, an beiden Schnittstellen, nicht nur beim Staat sondern auch bei den Unternehmen.
Aber zuerst muss dieser Rechenkern entwickelt werden, er muss nicht nur mit der Unternehmens-IT kompatibel sein, sondern auch allen ethischen und rechtlichen Anforderungen entsprechen.
Die Analogie mit dem selbstfahrenden Auto
Ein gutes Beispiel für diese komplexe Aufgabe sind selbstfahrende Autos, nach denen die Vision auch benannt ist. Damit der gesamte Verkehr autonom funktionieren kann, muss auch die Infrastruktur dafür bereitgestellt werden. Z. B. kann diese Infrastruktur allerorts länderspezifische Verkehrszeichen für Fahrzeuge und Ausnahmesituationen wie Baustellen richtig deuten. Dadurch können die schwierigen Verkehrssituationen, mit denen Menschen häufig konfrontiert sind, viel besser bewältigt werden, wie etwa mehrspurige Kreisverkehre: Wir haben alle schon erlebt, dass einige Autofahrer bis zu den Ausfahrten die Innenspur eines Kreisverkehrs nutzen – während andere nur die Außenspur befahren. Wer die innere Spur nutzt, erwartet, dass die Leute auf der äußeren Spur an der nächsten Ausfahrt abbiegen, aber manche Leute bleiben auf ihrer Spur, was zu gefährlichen Situationen und oft zu Unfällen führt.
Eine ähnliche Situation lässt sich anhand zahlreicher anderer Beispiele veranschaulichen, etwa wenn die Wahrnehmung eines Lkw-Fahrers beim Rechtsabbiegen oder beim Verlassen eines Hofes über den Gehweg stark eingeschränkt ist. Oder, wieweit sind wir sicher, wenn wir bei Gegenverkehr mit Abblendlicht auf der Autobahn über 130 km/h fahren? Die Sichtweite beträgt 50 Meter und der Bremsweg 123,5 Meter (Vollbremsung mit Reaktionszeit). Eine vollständig digital erfasste und aktualisierte Infrastruktur kann nahezu alle dieser Probleme beseitigen und die Unfallhäufigkeit gegen null reduzieren. Darüber hinaus muss sichergestellt werden, dass alle autonomen Verkehrsteilnehmer in Echtzeit miteinander kommunizieren können, ähnlich wie bei Ampeln und Bahnschrankenleitsystemen.
Auch diese Probleme können mit Rechenkernen gelöst werden, bei denen z. B. Verkehrszeichen in einem international interpretierbaren Format umgesetzt werden. Umgekehrt werden Anbieter selbstfahrender Autos selbstfahrende Autos nur in kompatible Länder verkaufen, in denen sie also mit der Infrastruktur kommunizieren können.
Das Once Only Principle
Ein weiterer Aspekt selbstfahrender Staaten ist das von der EU bereits vorangetriebene Einmalprinzip, das „Once Only Principle“: Es bedeutet, dass Unternehmen und Privatpersonen ihre Daten nur ein einziges Mal an eine Behörde übermitteln müssen. Wenn der Staat die ihm bereits vorliegenden Informationen für jegliches Service nutzen kann, entfällt die Notwendigkeit, dieselben Informationen mehrmals anzufordern oder Kopien hin- und herzu senden. Erfährt der selbstfahrende Staat beispielsweise von einer Schwangerschaft, leitet er automatisch alle notwendigen Prozesse ein, etwa die Einladung zur Mutter-Kind-Beratung und die Gewährung von Familienleistungen.
Die zugrunde liegende Prämisse dieses gesamten Buches ist, dass wir, die Menschen, Bürger, Unternehmer, Institutionen und Beamten, unserem demokratischen Staat vertrauen und seine Regeln akzeptieren. Auf dieser Basis stellen wir alle relevante Daten zur Verfügung.
Enorme Verbesserungen durch vollvernetze Daten
Im Grunde verfügen bereits heute über Volkszählungs-, Kataster- und Gerichtsakten, die Daten von Bewohnern enthalten. Denn Staaten benötigen seit jeher Zugriff auf die Daten ihrer Bürger, um ihre hoheitlichen Aufgaben uneingeschränkt zum Nutzen der Menschen wahrnehmen zu können. Der große Unterschied beim selbstfahrenden Staat besteht darin, dass alle Daten vollständig miteinander vernetzt sind und damit enorme Erleichterungen und Verbesserungen für alle Akteure und Interessengruppen möglich werden.
Ein zentraler Aspekt ist dabei, dass dadurch auch die Nachverfolgung behördlicher Entscheidungen erheblich erleichtert wird. So können etwa Bußgelder wegen Geschwindigkeitsüberschreitung sofort und per Knopfdruck überprüft werden. Darüber hinaus ermöglicht die Vernetzung aller Daten, dass diese Verkehrsstrafen auf das Einkommen abgestimmt werden. Das erhöht nicht nur die Gerechtigkeit, sondern steigert auch die Effizienz dieser Maßnahmen.
Viele Fragen der öffentlichen Verwaltung werden aus dem historischen Kontext heraus im selbstfahrenden Staat neu gestellt, da sich viele Voraussetzungen für bestehende Regelungen bereits längst grundlegend verändert haben. Wo einst Pferdekuriere wochenlang mit Botschaften von einem Ende des Reiches zum anderen reisten, können nunmehr vielfältige Informationen über die Stimmungen und Bedürfnisse der Bewohner genutzt werden, um in Echtzeit bedarfsgerechte Angebote zu generieren. So kann das gesamte Staatswesen kontinuierlich verbessert werden oder sich schnell auf dringende Ausnahmesituationen wie z. B. Naturkatastrophen einstellen.
Das ultimative Ziel des selbstfahrenden Staats besteht darin, den Menschen durch einen beispiellosen Bürokratieabbau mehr Freiheiten zu geben und so mehr Entwicklungs- und Entfaltungsmöglichkeiten und menschenwürdigere Arbeitsplätze zu schaffen. Statt der Einschränkungen und Diskriminierungen, die in klassischen Bürokratien üblich waren, agiert intelligente Software völlig transparent und basiert auf einmal entworfenen und laufend getesteten und verbesserten Entscheidungsprozessen. Die Software ist in Folge nicht mehr korrumpierbar und behandelt alle Menschen konsequent gleich.
Bei der Entwicklung des selbstfahrenden Staats geht es nicht nur um einzelne Leuchtturmprojekte, einzelne Serviceangebote oder Apps. Vielmehr sollte eine breite Basis geschaffen und diese Schritt für Schritt ausgebaut werden – mit dem vollständigen Zusammenschluss aller Verbände, Organisationen und Unternehmen kann eine effektive Zusammenarbeit erfolgen, die alle bisherigen Vorstellungen weit übertreffen wird.