Wie entscheiden selbstfahrende Unternehmen?

Die Vision des selbstfahrenden Unternehmens basiert auf der Prämisse, dass 80 % der Geschäftsentscheidungen durch Software getroffen werden. Dafür ist auch die Klärung des Begriffs „Entscheidung“ erforderlich. Bei näherer Betrachtung zeigt sich, dass es sich bei einer Entscheidung um ein sehr vielfältiges Konstrukt handelt, das je nach Kontext unterschiedliche Bedeutungen hat. Was ist also eine Entscheidung? Wie entscheiden Menschen – und wie KI-Software-Algorithmen?

Eine Entscheidung bezieht sich ursprünglich auf den Prozess, durch den ein Mensch aus einer Reihe möglicher Alternativen eine bestimmte Handlung, Einstellung, Absicht oder Meinung auswählt. Die Entscheidung ist daher zunächst ein sehr menschliches Phänomen. Aus psychologischer Sicht wird Entscheidungsfindung als eine kognitive Aktivität betrachtet, bei der ein Mensch unter Berücksichtigung von Präferenzen, Werten, Zielen, Informationen und subjektiven Bewertungen aus mehreren Optionen wählt. Wie auch die noch folgende Beschreibung der Verhaltensökonomie zeigt, bezieht diese kognitive Aktivität stark Emotionen und das Unterbewusstsein ein.

Auch in der Ökonomie wird eine Entscheidung als die Wahl einer Handlung oder eines Verhaltens betrachtet. In Unternehmen Entscheidungen oft von Teams getroffen. Die damit verbundenen Ziele und Präferenzen basieren meist auf Kosten- und Effizienzüberlegungen sowie begrenzten Ressourcen.

Das mathematische Dilemma: Entscheidung versus Ergebnis

Im Kontext selbstfahrender Unternehmen ist zudem eine Definition im Kontext mit der eingesetzten Informationstechnologie relevant: Eine Entscheidung bezieht sich hier auf eine Funktion bzw. Aufgabe, die von einem Computer oder einem algorithmischen System durchgeführt wird, um aus einer Reihe von Eingaben oder Daten eine bestimmte Aktion oder Ausgabe abzuleiten. Diese Entscheidungen basieren letztlich auf mathematischen Prinzipien. Jetzt wird es interessant: Denn in der Mathematik gibt es keine konkrete Definition von „Entscheidung“ als eigenständigem, logischen Konzept. Die korrekte Durchführung einer Berechnung führt nicht zu einer Entscheidung, sondern „nur“ zu einem Ergebnis. Der Begriff „Entscheidungsfindung“ bezieht sich in der Mathematik auf Berechnungen, die auf der Grundlage verfügbarer und bereitgestellter Informationen, fixen Kriterien oder sonstiger Regeln durchgeführt werden.

Bei komplexen Situationen stehen diese Informationen jedoch nicht vollständig zur Verfügung, z. B. bei der Entscheidung über die Errichtung eines neuen Produktionsgebäudes für einen Maschinenhersteller. In der mathematischen Entscheidungstheorie werden komplexe Entscheidungen häufig anhand von statistischen Wahrscheinlichkeiten und Nutzenfunktionen betrachtet. Dabei wird untersucht, wie möglichst „vernünftige“ Akteure Entscheidungen treffen, um Ziele auf der Grundlage bekannter Informationen und der Unsicherheit über die Ergebnisse zu erreichen. Verschiedene Variablen repräsentieren dabei unterschiedliche verfügbare Aktionen. Darüber hinaus gibt es mehrere mögliche Zustände und Ereignisse, also Szenarien, die eintreten können, für die jedoch nur begrenzte Informationen verfügbar sind.

Der Zusammenhang zwischen Entscheidungen und Problemen

Im Gegensatz zu mathematischen Berechnungen gibt es Probleme, bei denen es keine eindeutige Lösung gibt. Dies tritt auf, wenn zwischen dem gewünschten Zustand (SOLL) und der aktuellen Situation (IST) eine Lücke besteht und für die Lösung kein bestehender Weg gegeben ist. Ein Problem ist also eine Aufgabe, ein wichtiges Anliegen ohne Lösungsweg. Solche Probleme können Herausforderungen, Unsicherheiten oder Fragen sein. Zur Lösung des Problems müssen relevante Informationen identifiziert, gesammelt und analysiert werden. Basierend auf den gesammelten Informationen können dann verschiedene Optionen und Lösungen entwickelt werden, die der letztlichen Entscheidung zugrunde gelegt werden. Dieser Teil des Lösungsprozesses kann von Software unter Einsatz von KI schon heute viel besser umgesetzt werden, als von Menschen – denn die Software kann um ein vielfaches mehr an Daten unermüdlich zielgerecht aufarbeiten.

Dann ist häufig – vor allem bei schwerwiegenden Entscheidungen – wieder menschliche (Co-)Kreativität gefragt, für die Ideenfindung, beim Brainstorming oder beim Anwenden von Problemlösungstechniken unter Einsatz von Intuition und unbewusstem Einschätzungsvermögen. Erst nachdem auch diese alternativen Lösungsansätze generiert wurden, kann eine Entscheidung darüber getroffen werden, welche Alternativen das Problem bestmöglich lösen würden. Dazu gehört rational betrachtet die Bewertung der Vor- und Nachteile jeder Option unter Berücksichtigung von Risiken, Ressourcen und Zielen – soweit eben diese Informationen bereitstehen. Sobald eine Entscheidung getroffen wurde, muss diese im Unternehmen in die Tat umgesetzt werden. Dazu müssen konkrete Schritte zur Problemlösung definiert und Verantwortlichkeiten zugewiesen werden. Hier kommt beim selbstfahrenden Unternehmen wiederum die Software ins Spiel.

Algorithmen optimieren Entscheidungen nach den Zielen von Menschen

Das Ziel bei der Entwicklung und Programmierung von Algorithmen besteht daher darin, optionale Entscheidungsregeln zu entwickeln, um basierend auf verfügbaren Informationen und Präferenzen die besten alternativen Aktionen für die Anwendung zu identifizieren. Für einen großen Teil der alltäglichen Entscheidungen kann dann das menschliche Zutun beim selbstfahrenden Unternehmen völlig entfallen (Ziel: 80 %), wie bei der Einhaltung gesetzlicher Anforderungen, für maximierte Outputs, minimierte Ressourcen oder Risiken. Die Algorithmen müssen dafür immer wieder überprüft werden um sicherzustellen, dass die Unternehmen effektiv, effizient, rechtskonform und fair arbeiten und so die Interessen aller Stakeholder wie auch des Unternehmensumfelds und der Umwelt schützen.

Das menschliche Urteilsvermögen, Ethik und Moral sind daher immer Grundlage für die Entwicklung, Überprüfung und Weiterentwicklung der Entscheidungsfindung durch IT-Systeme. Hier wird der große Unterschied zwischen Mensch und Maschine deutlich. Computer haben den großen Vorteil, dass sie viel größere Informationsmengen streng rational verarbeiten können. Aber sie haben weder ein Motiv noch einen Willen.

Wir Menschen haben den Vorteil, Entscheidungen unter Unsicherheit treffen zu können, beispielsweise wenn wir zu wenig oder zu viele Informationen haben. Dabei lassen wir uns stark von den Umständen beeinflussen und verlassen uns auf unbewusst gesammelte Erfahrungen, die wir im Laufe unseres Lebens gesammelt haben und die weitaus umfangreicher sind, als die bewusst verarbeiteten Erfahrungen. Allerdings kommt es infolgedessen zu vielfältigen Fehlentscheidungen.

Das menschliche Dilemma: Denkfehler und irrationales Verhalte

Seit Jahrzehnten untersucht die Verhaltensökonomie den menschlichen Entscheidungsprozess und das Auftreten systematischer Denkfehler und irrationalen Verhaltens. Die Fähigkeit der Menschen, die besten Entscheidungen zu treffen, ist also eingeschränkt und stark beeinträchtigt – insbesondere wenn es viele Informationen, Stress und Ängste gibt. Wir alle kennen das aus unserem Arbeitsalltag:

  • Informationsüberflutung: Bei zu viele Informationen mit begrenzten kognitiven Ressourcen nutzen wir oft irrelevante Informationen für die Entscheidungsfindung und verdrängen wichtige, aber nicht verfügbare Informationen.
  • Stereotypisierung: Wir Menschen neigen dazu, neue Informationen mit bekannten, vertrauten Typologien zu assoziieren, auch wenn die neuen Informationen nicht ganz in das Schema passen. Auf diesem Prinzip beruht auch das bekannte Vorurteil.
  •  Ankereffekt, der erste Eindruck ist am besten: Wenn wir mit einer neuen Situation konfrontiert werden, hat ihre erste Einschätzung einen nachhaltigen Einfluss auf spätere Entscheidungen – auch wenn sich erstere als falsch herausstellt.
  • Halo-Effekt: Einzelne Aspekte einer Situation werden von den Beteiligten oft subjektiv als besonders stark wahrgenommen („Halos“). Diese Eindrucksdominanz verzerrt folglich alle nachfolgenden Entscheidungen.
  • Soziale Normen und Risikoverlagerung: Der Einfluss sozialer Normen auf das kooperative Verhalten von Menschen führt dazu, dass wir Menschen dazu neigen, gemäß den Erwartungen unserer Mitmenschen zu handeln. Dieser Effekt zeigt auch, wie sich individuelle Entscheidungen von Gruppenentscheidungen unterscheiden, obwohl sie auf sehr ähnlichen Daten basieren. Bei der Entscheidungsfindung in Teams besteht eine starke Tendenz, Konsens und Einstimmigkeit anzustreben. Wir sind bestrebt, Konflikte zu vermeiden und uns auf Lösungen zu konzentrieren, die Harmonie fördern. Dieses kollektive Handeln führt zu einem systematischen Ignorieren möglicher Risiken-
  • Mentale Konten: Dieser Effekt lässt sich am besten anhand eines Beispiels veranschaulichen. Wenn wir eine Festivalkarte für 150 Euro gekauft und diese auf dem Weg zum Event verloren haben, werden wir wahrscheinlich keine neue Karte kaufen. Wenn wir ohne Karte unterwegs 150 Euro verlieren, entsteht genau der gleiche Schaden wie bei der Eintrittskarte. Dennoch gehen wir ganz anders vor und kaufen in diesem Fall ein Ticket für weitere 150 Euro. Warum machen wir das? Die Erklärung liegt in der Tatsache, dass wir bei der Entscheidungsfindung unterschiedliche mentale Konten haben, eines für das „Ticket“ und eines für „Gesamtvermögens“. Der Verlust unseres Tickets führt zu einem Gesamtverlust von 150 Euro. Wenn jedoch 150 Euro verloren gehen, wird der Verlust mit der mentalen Bilanz des Gesamtvermögens assoziiert und als gering bewertet.

Effekte der menschlichen Motivation

Zusätzlich zu den oben skizzierten Auswirkungen der Verhaltensökonomie führen psychische Spannungen durch interne und externe Konflikte zu unzähligen Fehlentscheidungen in Unternehmen. Diese sind auf die vielfältigen menschlichen Motive zurückzuführen. Der amerikanische Psychologe Steven Reiss identifizierte folgende 16 Motive, die unser alltägliches Handeln erheblich beeinflussen: Macht. Neugier, Anerkennung, Ordnung, Sparen, Ehre, Idealismus, Beziehungen, Familie, Status, Rache, Eros, Essen, körperliche Aktivität und Ruhe.

Angesichts dieser vielfältigen Verzerrungseffekte rationaler Entscheidungen durch Menschen zeigen sich die Vorteile von Computern. Diese haben keine Vorurteile, streben nicht nach Erfolg und Macht und sind nicht nachtragend. Software hört immer, aufmerksam und jedem zu. Sie ermüdet nicht, braucht keine Entspannung, keinen Urlaub und arbeitet auch die Nacht und das Wochenende durch, hat keine Familien- Partner- und Gesundheitssorgen und keine Probleme mit dem Selbstbewusstsein. Es gibt keine menschlichen Konflikte innerhalb von Teams oder mit der Führungskraft. Der Computer erhält alle benötigten Daten berechnet die Ergebnisse auf streng rationale und mathematische Weise. Intelligente Software ist daher der perfekte Mikromanager, der darauf programmiert werden kann, strategische, taktische und operative Ziele schnell, präzise und fehlerfrei zu verfolgen. Was der Computer von den Menschen braucht, ist die Entwicklung und Überprüfung eines Entscheidungssystems höherer Ordnung. An diesem können sie nun in Ruhe arbeiten – befreit von den Lasten, Konflikten und Emotionen des Alltags.

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