Skill Set für selbstfahrende Unternehmen

Seit jeher hängt die Strategieentwicklung in den Unternehmen maßgeblich von den Fähigkeiten der Manager ab, die mit dieser Aufgabe betraut sind. Dafür braucht es ein „Soft Skill“ Set aus Erfahrung und Intuition, in Folge für die Umsetzung der Strategien eine sichere Machtposition und Durchsetzungskraft. Letztlich ist der Erfolg dieser Strategien von zutiefst menschlichen Eigenschaften abhängig, demensprechend hoch ist die Fehlerquote. Dem steht das „Hard Facts“ Skill Set des selbstfahrenden Unternehmens entgegen: für präzise und rasche Entscheidungen, basierend auf vollständigen, topaktuellen Daten, umfassenden Analysen und Simulationen.

Sämtliche strategischen Prozesse werden in den klassischen analogen Unternehmen annähernd ausschließlich von Menschen durchgeführt, nur teilweise unterstützt durch ERP-Systeme und Berichte, die mit Tabellenkalkulationsprogrammen erstellt werden. Strategieklausuren werden häufig mit Abteilungsleitern, Außendienstmitarbeitern, Produktmanagern, Marketingmanagern und dem Management abgehalten, um die Faktoren Intuition und Erfahrung auf Basis der vielfältigen, jahrelangen Tätigkeit dieser Leute zu erweitern. Im Zuge der Strategiefindung werden verschiedene Szenarien besprochen, Vorschläge und Einwände geäußert, bis alle entscheidenden Aspekte ermittelt sind und der CEO am Ende des Workshops eine Entscheidung trifft: Keine datenbasierte Entscheidung – sondern letztlich eine intuitive Abwägung der erfassten Aspekte, soweit dies möglich war.

Große Strategien auf kleiner Datenbasis

Vor allem menschliche Intuition liegt also den Geschicken des Unternehmens in weiterer Folge zugrunde, zumindest in den nächsten drei bis fünf Jahren. Im Ergebnis wird aus der Strategie ein operativer Aktionsplan abgeleitet und in kurzen Abständen von mittleren Führungsebenen auf deren Umsetzung überprüft. Große Strategien hingegen können nicht mehr überprüft oder bewertet werden, da viele der zugrunde liegenden Daten in der Intuition des CEO verborgen bleiben. So wird mittels einer akribischen Detailplanung die große übergeordnete Strategie, die insgesamt auf völlig unzureichenden, unscharfen und vagen Überlegungen beruht, mit unnötig großer Präzision auf Punkt und drei Nachkommastellen ausgeführt und periodisch überprüft. Darüber hinaus ist bei der Umsetzung operativer Pläne erneut der Faktor Mensch gefragt: Immer wieder kommt es zu Machtkämpfen in den Abteilungen, zum Zurückhalten von Informationen und zum Austausch vermeintlich Verantwortlicher, wenn dann Fehler geschehen.

Systematische Datenanalyse versus Soft Skills

Systematische Datenanalyse bedeutet, sichere Daten zu verwenden, um daraus systematisch Strategien abzuleiten und umzusetzen, die in allen einzelnen Dimensionen vollständig nachvollziehbar sind – anstatt die großen Entscheidungen und wichtigsten Erfolgsfaktoren eines Unternehmens den Soft Skills, Emotionen und der Intuition zu überlassen.

Im selbstfahrenden Unternehmen des Jahres 2035 werden diese strategischen Entscheidungen auf weitaus mehr Daten basieren als heute. Die zugrundeliegenden Daten werden kontinuierlich in allen Systemen erfasst und können auf jede erdenkliche Weise ausgewertet werden. Jedes auf dieser komplexen Datenbasis entwickelte Szenario kann mittels Simulation hinsichtlich aller damit verbundenen Folgeeffekte analysiert werden.

Damit steht bei strategischen Entscheidungen eine sichere und komplette Datenbasis zur Verfügung, aus der in Folge automatisch die operativen Pläne abgeleitet werden können. Zwischenberichtsintervalle sind nicht mehr erforderlich, jegliche Abweichungen von den Zielen werden jedoch in allen Bereichen des Systems in Echtzeit erfasst und gemeldet. Auf Basis von definierten Abweichungsintervallen werden Meldungen an das Management gesendet und mit verschiedenen Möglichkeiten zur Korrektur der Ergebnisse verknüpft, inklusive aller relevanten Prognosen für sämtliche Unternehmensbereiche.

Softwaregenerierte Daten als Basis für menschliche Kreativität

Während es in der Vergangenheit oft Jahre dauerte, Feedback zu Maßnahmen zu erhalten, erfolgt dies beim selbstfahrenden Unternehmen kontinuierlich und in Echtzeit. Dies erhöht die Sicherheit erheblich und verringert die vielfältigen internen Risiken aus Fehleinschätzung, Unwissen, Macht- und Prestigegier, Eitelkeit, Gekränktheit und Rachegelüsten. Alle beteiligten Personen sämtlicher Abteilungen verfügen stets über eine völlig transparente und nachvollziehbare Entscheidungsgrundlage, die bis ins kleinste Detail rückverfolgt werden kann. Darüber hinaus können diese Daten zur Entwicklung von völlig neuen Ideen genutzt werden, die über den Rahmen des Systems hinausgehen: Zum Beispiel kreative neue Produkte, die auf Basis horizontaler oder vertikaler Diversifizierung entwickelt werden können, oder die Erschließung neuer Märkte in neuen Ländern oder Nischen. Resultierend aus aktuellen gesellschaftlichen oder technologischen Entwicklungen.

Speed-Boote statt Öltanker

Eine klassische, von Menschen entwickelte und umgesetzte analoge Strategie ist vergleichbar mit einem großen alten Öltanker: Der findet seinen Kurs anhand der Erfahrung und Intuition des Kapitäns, aufgrund seiner begrenzten Sicht und veralteter Instrumente erkennt er die Gefahr zu spät und reagiert dann träge und viel zu langsam auf die Bewegungen des Steuermanns.

Die digital generierte Strategie kann mit einem Schwarm extrem schneller kleiner Boote verglichen werden, die ständig miteinander kommunizieren, Informationen von Hunderten von Standpunkten miteinander vergleichen und immer darauf achten, so sicher und schnell wie möglich voranzukommen. Im Falle eines unvorhergesehenen Problems sind nur einzelne Boote betroffen – und diese Situation wird sofort allen mitgeteilt, was zu einer sofortigen Korrektur durch alle anderen Boote führt. In einem solchen dezentralen System werden kontinuierliche Entscheidungen nicht strikt von oben getroffen, sondern kontinuierlich von allen Akteuren in gegenseitiger Abstimmung auf der Grundlage einer umfassenden Rahmenvereinbarung getroffen.

Da bei so einem dezentralen System die laufend zu treffenden Entscheidungen nicht starr hierarchisch von oben kommen, sondern kontinuierlich aufgrund einer übergeordneten Strategie von allen Akteuren in wechselseitiger Abstimmung getroffen werden, kommt es auch zu keinen Leerläufen, die durch mangelnde Entscheidungen bzw. durch unzureichende Kommunikation der Entscheidungen von oben nach unten sowie auch zwischen Abteilungen auf einer Ebene entstehen. Dieser Aspekt hat oft zum Untergang großer Unternehmen geführt, in denen sich Abteilungen immer mehr abgekapselt haben. Ein Beispiel ist Sony, noch in den 1980 einer der Elektronik Weltmarktführer, verlor sich das Unternehmen in seinen Abteilungen und damit den Gesamtüberblick. Produkte wie Videorekorder, Walk- und Discman wurden detailverliebt nachgebessert, konnten aber mit der Konkurrenz nicht mehr mithalten. Sony investierte zwar in neue Technologien wie das MiniDisc-Format und die Digital Audio Tape (DAT)-Technologie – die Produkte wurden jedoch von Verbrauchern nicht angenommen. Die komplexe Organisationsstruktur führte zu bürokratischen Problemen und einer katastrophalen Verlangsamung der Entscheidungsfindung, was die Reaktionsfähigkeit des Unternehmens auf den Markt beeinträchtigte.

All diese Probleme sind in einem selbstfahrenden Unternehmen vermeidbar. Da die sichere und transparente Datengrundlage eine vollständige Nachvollziehbarkeit gewährleistet, steigt auch die Akzeptanz der strategischen und operativen Entscheidungen seitens der Mitarbeiter. Dadurch werden große Potenziale zur Verbesserung der Leistungsfähigkeit des gesamten Unternehmens freigesetzt.

Das Fail Fast Prinzip am Beispiel Netflix

Ein weiterer Aspekt ist das „Fail Fast“-Prinzip, das in den USA eine lange Tradition hat und heute auch in Europa zunehmend Anwendung findet: Wir können gerne etwas ausprobieren, aber wenn es nicht funktioniert, müssen wir es sofort erkennen und reagieren. Dieses Prinzip wird in analogen Unternehmen noch kaum praktiziert, digitale Unternehmen eröffnen hierfür jedoch vielfältige Möglichkeiten. Auf Basis voll verfügbarer Daten aus allen Bereichen ist es viel einfacher und schneller möglich, Ideen zunächst auf die Ermittlung und Kommunikation genauer Vorhersagemodelle zu stützen. Dadurch lassen sich auch ganz einfach Chancen und Risiken kalkulieren und die Umsetzung von Ideen in Form von Feldtests auf den verschiedenen Zielmärkten testen. Alle Kundenreaktionen auf neue Produkte werden erfasst und ausgewertet, ohne dass teure Marktforschungsagenturen beauftragt werden müssen.

Ein aktuelles Beispiel ist Netflix, dass die Serienproduktion rasch und präzise auf das User-Verhalten abstimmt. Netflix sammelt umfangreiche Informationen über das Zuschauerverhalten auf seiner Plattform, analysiert, welche Serien und Filme die Nutzer ansehen, wie lange sie zuschauen, wann sie pausieren oder wieder weiterschauen, welche Episoden oder Szenen wiederholt werden und vieles mehr, um das Interesse und die Vorlieben der Zuschauer zu verstehen. Bewertungen und Kommentare helfen zudem, das Publikumsinteresse und die Reaktionen auf verschiedene Inhalte zu analysieren. Zudem überwacht Netflix auch soziale Medien und Online-Diskussionsforen, um Einblicke in die Meinungen, Wünsche und Trends zu erhalten, analysiert, wie die Menschen über Serien sprechen und diskutieren. Mit Experimenten und so genannten „A/B-Tests“ werden verschiedene Versionen von Inhalten, Thumbnails, Beschreibungen oder Empfehlungsalgorithmen getestet um herauszufinden, welche Variationen die höchste Zuschauerbeteiligung und das größte Interesse generieren. Deep Learning Algorithmen werden eingesetzt, um personalisierte Empfehlungen für jeden einzelnen User zu generieren. Auf Basis all dieser Daten können sehr rasch Entscheidungen getroffen werden, werden erfolglose Serien sofort abgesetzt oder erfolgreiche Serien mit neuen Staffeln verlängert. Sicher, es braucht eine Weile, um so ein System aufzubauen, ist es jedoch einmal etabliert, hängt es die Konkurrenz meilenweit ab.

Frei für den Blick in einen weiteren Horizont

Diese automatisierte, datenbasierte und analytisch-strategische Vorgangsweise wird im Jahr 2035 zum Standard werden. Die Unternehmen können beständig überprüfen, ob das Produkt auf dem Markt bleiben soll – alternativ können Sie Ihr bestehendes Produktsortiment mit Matching-Algorithmen analysieren, um neue geeignete Märkte zu erschließen, was vor allem in der digitalen Welt rasch umsetzbar ist. Ständig stehen solide und vielfältige Daten zur Verfügung, auf denen solche Managemententscheidungen basieren.

Die in analogen Unternehmen verfügbaren Entscheidungsgrundlagen sind nicht nur heute bereits unzureichend – sie werden vielmehr nicht ausreichen, um in einem immer komplexer werdenden Umfeld als Grundlage für fundierte strategische Entscheidungen herangezogen zu werden. Das Problem der Komplexität wird in Zukunft weitgehend von der Maschine bewältigt, was den beteiligten Managern das Denken erheblich erleichtert. Um die Qualität Ihrer Strategieszenarien zu überprüfen, müssen Sie nicht mehr nur ihre Intuition und ihre Soft Skills einsetzen. Die Analyse und präzise sowie verständliche Aufbereitung der Daten befreit sie vielmehr von dieser Last, erweitert Ihren Horizont und ermöglicht Ihnen, weiter und besser zu sehen. Sie werden im Stande sein, über die bestehenden Strategien, Taktiken und betrieblichen Teilsysteme hinauszudenken – und eine dauerhafte Basis für den Erfolg ihrer Unternehmen schaffen.

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